Wie funktioniert Hören?

Viele denken beim Hören an das Trommelfell, das vibriert, und ans Gehirn, das „irgendwie“ den Ton versteht. Manche Hörakustiker erklären es so: Das Trommelfell schwingt, das Innenohr wandelt Schall in elektrische Signale, und die gehen dann ins Gehirn. Fertig.

Ganz so einfach ist es nicht.

Denn Hören ist ein hochkomplexer Vorgang – vom ersten Luftimpuls bis zur bewussten Wahrnehmung. Wer versteht, wie Hören wirklich funktioniert, erkennt auch, warum moderne Hörgeräte an Grenzen stoßen und warum gutes Hören mehr ist als „mehr Lautstärke“.

Der Weg des Schalls – vom Ohr bis ins Gehirn

1. Das Außenohr: Schall einfangen

Unsere Ohrmuschel funktioniert wie ein Trichter. Sie sammelt Schallwellen und leitet sie durch den Gehörgang bis zum Trommelfell. Dabei verändert sich der Klang subtil – je nach Richtung und Frequenz. Diese Veränderungen liefern dem Gehirn wichtige Hinweise zur Richtungshörbarkeit.

2. Das Mittelohr: Verstärkung durch Mechanik

Darstellung des Mittelohrs mit Gehörknöchelchen – Illustration zur Funktion des Trommelfells und Stapediusreflexes

Trifft der Schall auf das Trommelfell, wird er in mechanische Schwingungen umgewandelt. Diese Bewegung überträgt sich über die drei Gehörknöchelchen – Hammer, Amboss und Steigbügel – ins Innenohr. Der Steigbügel schlägt wie ein Kolben gegen das ovale Fenster der Cochlea.

Ein winziger Muskel, der Musculus stapedius, schützt dabei vor zu lauten Geräuschen, indem er die Übertragung dämpft.

3. Das Innenohr: Frequenzanalyse in Flüssigkeit

Die Cochlea – eine spiralige, mit Flüssigkeit gefüllte Struktur – ist der Resonanzraum unseres Hörsystems. In ihr wird der mechanische Impuls in eine Art Wanderwelle umgewandelt. Diese läuft entlang der Basilarmembran und löst an unterschiedlichen Stellen stärkere Auslenkungen aus – je nach Frequenz.

Hohe Töne werden am Anfang der Schnecke analysiert, tiefe weiter innen. Auf dieser Membran sitzen die Haarzellen. Vor allem die äußeren Haarzellen wirken aktiv verstärkend – sie machen leise Töne überhaupt erst hörbar. Gehen sie verloren, klingt alles dumpf, egal wie laut.

Zusatzinfo: Die Cochlea verarbeitet Schall im Bereich von etwa 20 Hz bis 20.000 Hz – vom tiefen Donnergrollen bis zum feinen Zirpen einer Grille. Mit zunehmendem Alter sinkt dieser Bereich – meist zuerst in den Höhen.

Noch ein Hinweis: Direkt neben der Cochlea liegt der vestibuläre Apparat, der für das Gleichgewicht zuständig ist. Hören und Gleichgewicht – zwei Sinne, vereint im Innenohr.

Vom Innenohr zum Gehirn – die zentrale Hörverarbeitung

Die inneren Haarzellen wandeln die Wellenbewegung in elektrische Signale um. Diese wandern über den Hörnerv in einer komplexen Bahn durch das Gehirn:

  • Nucleus cochlearis – erste Sortierung und Synchronisierung
  • Oliva superior – Richtungshören durch Zeit- und Pegelunterschiede
  • Colliculus inferior – Verarbeitung von Lautstärke, Reflexen und Aufmerksamkeit
  • Corpus geniculatum mediale (Thalamus) – die letzte Umschaltstation
  • Auditiver Cortex – hier entsteht das bewusste Hörerlebnis

Diese Verarbeitung ist keine Einbahnstraße. Das Gehirn sendet auch top-down-Signale zurück, beeinflusst durch Aufmerksamkeit, Emotion, Sprache und Gedächtnis. Hören ist also kein passiver Reiz-Reaktions-Mechanismus, sondern ein aktiver, lernender Vorgang.

Warum wir alle unterschiedlich hören

Zwei Menschen hören denselben Ton – und erleben ihn völlig verschieden. Warum? Weil das Gehirn mitentscheidet:

  • Emotionale Bedeutung (z. B. Babyweinen vs. Lärm)
  • Sprachkenntnisse (z. B. Verstehen in Fremdsprachen)
  • Erfahrung und Erwartungen

Das macht Hören so faszinierend – aber auch herausfordernd für die Technik. Kein Gerät der Welt kann diese subjektive Filterung vollständig nachbilden. Darum geht es bei moderner Audiologie nicht nur um Dezibel, sondern um Hörverstehen, Höranstrengung und die individuelle Hörverarbeitung.

Fazit

Hören ist viel mehr als die Übertragung von Schall. Es ist ein Zusammenspiel aus Physik, Biologie, Neurowissenschaft und Subjektivität.

Nur wer diese Ebenen versteht, kann Hörprobleme wirklich begreifen – und passende Lösungen entwickeln.

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Autor: Maximilian Bauer, Hörakustikmeister, MSc. Clinical Audiology

 

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