Autor: Maximilian Bauer, Hörakustikmeister, MSc. Clinical Audiology → Zur Vita
Aktualisiert am: 04. Oktober 2025
Manche Menschen hören vermeintlich „normal“, haben aber massive Probleme im Alltag – besonders in geräuschvoller Umgebung, am Telefon oder bei mehreren Sprechern. Ein normaler Hörtest reicht nicht aus, um diese Störung zu erkennen. Die Ursache kann eine auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (AVWS) sein – auch im Erwachsenenalter.
Was ist AVWS – und warum betrifft sie nicht nur Kinder?
AVWS steht für Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung – also eine Störung der zentralen Hörverarbeitung. Häufig wird sie mit Kindern in Verbindung gebracht. Doch auch Erwachsene können betroffen sein: durch neurodegenerative Veränderungen, chronischen Stress, frühkindliche Defizite oder Hirnverletzungen, die lange kompensiert wurden.
Das zentrale Problem liegt nicht im Ohr selbst, sondern in der Verschaltung und Weiterverarbeitung akustischer Informationen – etwa im Corpus callosum, im auditorischen Cortex oder im Thalamus. Klassische Audiogramme bleiben dabei oft unauffällig.
Typische Symptome einer AVWS im Erwachsenenalter
- Schwierigkeiten beim Verstehen in geräuschvoller Umgebung
- Probleme mit schnellen Sprechern, Dialekten, Fremdsprachen
- Unsicherheit bei mehreren Sprechern (z. B. in Besprechungen)
- Hörstress, Erschöpfung nach Gesprächen, Konzentrationsprobleme
- Gefühl von "Ich verstehe akustisch, aber es kommt nicht an"
Diagnose: Wie erkennt man AVWS bei Erwachsenen?
Die klassische Tonaudiometrie reicht nicht aus. Spezialisierte Verfahren zur Diagnostik von AVWS umfassen u. a.:
- Dichotische Tests (z. B. Dichotic Digits, Staggered Spondaic Word Test)
- Gaps-in-Noise-Test (temporale Verarbeitung)
- Binaurale Fusion und direktionale Verarbeitung
- Sprachverstehen in Störgeräuschen mit binauralem Vorteil
Hinzu kommt eine ausführliche Anamnese und funktionelle Betrachtung: Wann treten die Probleme auf? Gibt es eine Entwicklungsgeschichte? Wie sieht die berufliche Belastung aus?
Suchen Sie gezielt nach Hörakustikern oder Audiologen mit AVWS-Kompetenz. Eine reine Hörgeräteversorgung reicht oft nicht aus. Eine genaue Diagnostik, ggf. mit Zuweisung an Spezialzentren, ist essenziell.
Therapie und Alltagshilfen
- Gezieltes Hörtraining, ggf. neurokognitiv (z. B. mit Reha-Plänen oder AVWS-Programmen)
- Visuelle Unterstützung im Gespräch (Mundbild, Mimik, Schrift)
- Strategien wie Pausen, langsames Sprechtempo, Gesprächsführung
- In manchen Fällen: Anpassung von Hörsystemen mit Fokus auf Störgeräuschmanagement
AVWS, Hidden Hearing Loss und Demenz: Die Differentialdiagnose
Eine AVWS kann sich überschneiden mit:
- Hidden Hearing Loss (periphere Synaptopathie)
- Kognitiven Defiziten (z. B. bei MCI, Demenz)
- Psychischer Überlastung oder chronischem Stress
Deshalb ist eine sorgfältige Differentialdiagnostik entscheidend.
Forschung & Quellen
- New Zealand Guidelines on Auditory Processing Disorder (2019)
- CAPD Guidelines (Bellis, Musiek, 2010)
- Geffner & Ross-Swain: Auditory Processing Disorders (Plural Publishing)
- Kreisman et al. (2012): Psychosocial implications of APD
- MSc Audiology Lecture Notes, Drexel University
Weitere Seiten zum Thema:
→ Zur Hauptseite „Ich höre gut, aber verstehe schlecht“
→ Hochtonverlust über 8 kHz
→ Hidden Hearing Loss