Kann das Gehör Alzheimer verraten?
von von Maximilian Bauer, MSc. Clinical Audiology (Kommentare: 0)

Kann das Gehör Alzheimer verraten? Die SAPHIR-Studie im kritischen Überblick
Die Idee ist bestechend: Könnte ein einfacher Hörtest künftig Hinweise auf Alzheimer oder Parkinson geben – noch bevor erste Gedächtnisprobleme auftreten? Genau das will die SAPHIR-Studie klären, die aktuell in mehreren europäischen Zentren durchgeführt wird. Sie setzt auf moderne Audiometrie, Blutwerte und neue Biomarker-Konzepte.
Doch wie tragfähig ist dieses Versprechen? Und was sagt die Studie wirklich? Ich habe mir die verfügbaren Daten genau angesehen.
Was untersucht die SAPHIR-Studie?
SAPHIR ist eine multizentrische, prospektive Beobachtungsstudie, die sich auf Menschen mit leichter kognitiver Einschränkung (MCI) oder Parkinson-Erkrankung konzentriert. Ziel ist es, diese Gruppen mit altersentsprechenden Kontrollpersonen zu vergleichen – mit einem besonderen Fokus auf dem Hören.
Untersucht wird dabei unter anderem:
- Klassische Audiometrie
- Sprachverstehen im Störschall
- Elektrophysiologie (z. B. ABR)
- Tympanometrie
- Otoakustische Emissionen
- sowie begleitende Blut-Biomarker
Der wissenschaftliche Fokus liegt auf der sogenannten cochleären Synaptopathie – einer Schädigung der Haarzellen-Synapsen, die als möglicher Auslöser für „Hidden Hearing Loss“ gilt: Hörprobleme trotz normalem Tonaudiogramm.
Die Idee: Ein auditiver Fingerabdruck fürs Gehirn?
Im Zentrum steht die Hypothese, dass sich neurodegenerative Veränderungen frühzeitig auch im Hörsystem zeigen könnten – insbesondere bei Aufgaben, die hohe kognitive Verarbeitung erfordern, etwa Sprachverstehen im Lärm.
Das Ziel der Studie ist ambitioniert: Ein digitaler, individueller „auditory signature“-Biomarker, der als Frühwarnsystem für Alzheimer und Parkinson dienen kann – idealerweise kombiniert mit Blutwerten.
Was ist davon zu halten?
- Die Grundidee ist nicht neu, aber spannend.
Dass Schwerhörigkeit mit kognitivem Abbau korreliert, ist gut belegt – etwa durch Studien von Lin et al. (2011). Ob Hörtests aber wirklich als spezifische Früherkennungsmarker dienen können, ist bislang offen. - Der Begriff „Synaptopathie“ bleibt unpräzise.
Das Konzept stammt ursprünglich aus Tiermodellen. In der klinischen Praxis lässt es sich derzeit nicht sicher diagnostizieren – viele Tests (z. B. speech-in-noise) sind multifaktoriell beeinflusst. - Das Studiendesign ist solide, aber nicht randomisiert.
Als Beobachtungsstudie liefert SAPHIR wertvolle Daten, aber keine kausalen Beweise. Der Anspruch eines „Biomarker-Panels“ muss deshalb vorsichtig bewertet werden. - Mögliche Bias-Risiken sollten benannt werden.
Subjektive Testverfahren, Motivation der Teilnehmer, Komorbiditäten – all das kann die Ergebnisse verzerren. Die Studie selbst benennt diese Limitationen bislang nur am Rand.
Was bedeutet das für die Praxis?
Die SAPHIR-Studie greift ein wichtiges Thema auf: Die Rolle des Gehörs in der Neurodegeneration. Ihr Ansatz, Hören nicht nur als Sinnesleistung, sondern auch als potenziellen Indikator für kognitive Veränderung zu betrachten, ist zukunftsweisend.
Aber: Noch ist es zu früh, um aus einem Sprachverstehenstest eine Alzheimerdiagnose abzuleiten. Die diagnostische Spezifität und Sensitivität solcher Marker bleibt unklar. Auch die Kombination mit Blutwerten wirft viele methodische Fragen auf.
Fazit
Die SAPHIR-Studie ist ein Schritt in die richtige Richtung – weg von rein symptomorientierter Diagnostik, hin zu integrierten, multisensorischen Frühwarnsystemen.
Aber der Weg ist noch weit. Wer heute mit einem auffälligen Sprachverstehen im Störschall konfrontiert ist, sollte keine Angst vor Alzheimer haben – sondern eine gute audiologische Abklärung erhalten.
Zusammenfassung: Was sagt die SAPHIR-Studie wirklich?
- Ziel: Untersuchung, ob Hörtests frühe Hinweise auf Alzheimer oder Parkinson liefern können
- Fokus: „Hidden Hearing Loss“ durch cochleäre Synaptopathie, v. a. Sprachverstehen im Lärm
- Methode: Audiometrie, Elektrophysiologie und Blut-Biomarker im Vergleich zwischen MCI-/Parkinson-Patienten und Kontrollen
- Stärken: Ganzheitlicher Ansatz, gutes Studiendesign, zukunftsweisende Fragestellung
- Schwächen: Keine Kausalitätsbeweise, unklare diagnostische Spezifität, viele offene Fragen
- Fazit: Ein spannender Impuls – aber (noch) kein praxistauglicher Biomarker
Mehr zur Rolle des zentralen Hörens und kognitiver Entlastung durch Hörgeräte lesen Sie in diesem Beitrag über zentrale Hörverarbeitung.
Offizielle Studieninformation: SAPHIR-Studie bei CILcare (PDF)
Autor: Maximilian Bauer, Hörakustikmeister, MSc. Clinical Audiology
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