Oticon und Phonak im Vergleich: BrainHearing oder AutoSense OS?
von von Maximilian Bauer, MSc. Clinical Audiology (Kommentare: 0)
Oticon vs. Phonak: BrainHearing oder AutoSense OS im Vergleich
Wenn zwei Hersteller wie Oticon und Phonak von „Hörentlastung“ oder „intelligentem Hören“ sprechen, lohnt es sich, genau hinzuschauen. Denn hinter Begriffen wie BrainHearing oder AutoSense OS stecken grundverschiedene Denkweisen – mit direkten Auswirkungen auf die Wahrnehmung, Verarbeitung und Interpretation von Sprache und Geräuschen. In diesem Artikel zeige ich, worin sich die Systeme wirklich unterscheiden – jenseits des Marketings.
Grundidee: Filtern im Gehirn oder filtern im Gerät?
Oticon verfolgt mit dem BrainHearing-Konzept einen radikalen Ansatz: Das Gehirn soll möglichst viele Informationen aus der Umgebung erhalten, damit es selbst filtern und bewerten kann. Phonak hingegen setzt mit AutoSense OS auf eine automatische Analyse der Hörumgebung – mit dem Ziel, das Signal bereits vor dem Gehirn so zu optimieren, dass weniger kognitive Arbeit notwendig ist.
- Offene Klangkulisse (OpenSound Navigator)
- Rauminformationen bleiben erhalten
- Richtwirkung breit, Sprache wird betont, aber Umgebungsgeräusche bleiben hörbar
- Fokus: natürliche Verarbeitung und Förderung der zentralen Hörverarbeitung
- Automatische Szenenanalyse (z. B. Sprache in Ruhe, Verkehr, Restaurant)
- Gezielte Richtmikrofon-Technologie (StereoZoom, UltraZoom)
- Reduktion störender Raumanteile
- Fokus: geringere kognitive Last, intuitive Bedienung
Wie funktioniert die Störgeräuschverarbeitung?
Oticon verwendet mit dem OpenSound Navigator ein System, das versucht, die gesamte Klanglandschaft zugänglich zu halten. Störgeräusche werden nicht „abgeschnitten“, sondern im Pegel reduziert – ohne die räumliche Struktur zu zerstören. Die Richtwirkung bleibt dabei breit.
Phonak hingegen arbeitet mit StereoZoom, UltraZoom und der neuen Sphere AI, die die Szene nicht nur klassifiziert, sondern daraus aktiv Entscheidungen ableitet: Sprache wird verstärkt, Hintergrundgeräusche gezielt unterdrückt. Der Richtstrahl ist deutlich enger.
Was zeigen Studien zur Höranstrengung?
Objektive Messungen – z. B. mit Pupillometrie oder EEG – zeigen, dass beide Systeme Vorteile bringen können. Oticon konnte in bestimmten Versorgungen die kognitive Integration verbessern, während Phonak in Szenen mit viel Störschall nachweislich die Verstehensleistung erhöhen konnte.
Ein Beispiel: In einer Studie von Buechner (2024) verbesserte sich das Sprachverstehen mit Phonaks AutoSense OS 3.0 im Störgeräusch um bis zu 5 dB. Oticon wiederum zeigte in Studien, dass Kinder mit dem OpenSound Navigator subjektiv besser mit der Umwelt interagieren konnten – auch wenn objektive Messwerte nicht immer signifikant waren (Stewart, 2021; Pinkl, 2020).
Weitere Studien und Reviews bestätigen diese Tendenz:
- Fiedler et al. (2021): Pupillometrie und EEG zeigen reduzierte Höranstrengung bei aktivierter Störschallreduktion
- Micula et al. (2021): Besseres Recall bei geringerem kognitiven Load unter Noise Reduction
- Searchfield et al. (2018): Signifikant besseres SRT bei AutoSense OS im Vergleich zu manueller Wahl
- Pinkl et al. (2020): Keine signifikanten kognitiven Verbesserungen, aber positives subjektives Feedback zu Oticon OPN
- Alhanbali et al. (2019): Pupillometrie, EEG und Selbstauskunft bilden unterschiedliche Dimensionen von Höranstrengung ab
Meine klinische Sichtweise
Ich finde den Ansatz von Oticon hervorragend. Wer ein gut funktionierendes zentrales Hörsystem hat, sollte möglichst viele Informationen bekommen – auch aus dem Raum. Denn unser Gehirn kann mehr, als wir oft glauben.
Gleichzeitig ist klar: Manche Menschen profitieren von einem System, das stärker vorgreift. Bei eingeschränkter Aufmerksamkeitssteuerung, oder geringer kognitiver Energie kann Phonaks Sphere KI genau das liefern, was gebraucht wird: Klarheit ohne Überforderung.
Fazit: Zwei Systeme – zwei Wege zum Ziel
Oticon und Phonak verfolgen zwei unterschiedliche Strategien. Keine ist „besser“ – sie richten sich an unterschiedliche Hörprofile, Alltagssituationen und kognitive Ressourcen.
Was zählt, ist die individuelle Passung. Und die erkennt man nicht an der Werbung, sondern an der Reaktion des Nutzers im echten Leben.
Literatur & Studien
- Stewart, H et al. (2021). Adaptive Hearing Aid Benefit in Children With Mild/Moderate Hearing Loss: A Registered, Double-Blind, Randomized Clinical Trial. Ear and Hearing, 43, 1402 - 1415. https://doi.org/10.1097/AUD.0000000000001230
- Fiedler, L et al. (2021). Hearing Aid Noise Reduction Lowers the Sustained Listening Effort During Continuous Speech in Noise—A Combined Pupillometry and EEG Study. Ear and Hearing, 42, 1590 - 1601. https://doi.org/10.1097/AUD.0000000000001050
- Searchfield, G et al. (2018). The performance of an automatic acoustic-based program classifier compared to hearing aid users’ manual selection of listening programs. International Journal of Audiology, 57, 201 - 212. doi.org/10.1080/14992027.2017.1392048
- Buechner, A et al. (2024). Enhancing speech perception in challenging acoustic scenarios for cochlear implant users through automatic signal processing. Frontiers in Audiology and Otology. https://doi.org/10.3389/fauot.2024.1456413
- Pichora-Fuller, M et al. (2016). Hearing Impairment and Cognitive Energy: The Framework for Understanding Effortful Listening (FUEL) Ear and Hearing, 37, 5S–27S. https://doi.org/10.1097/AUD.0000000000000312
Autor: Maximilian Bauer, Hörakustikmeister, MSc. Clinical Audiology
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